Kein Wahlkampf auf dem Rücken von Geflüchteten

heimat.kolumne

Nach dem Sturz des Diktators Assad in Syrien ist die Freude unter Syrer*innen in der Region und in der Diaspora in Deutschland groß. Die kurz danach formulierten politischen Forderungen nach Abschiebungen und der Rückkehr von syrischen Geflüchteten, die in Deutschland Schutz gefunden haben, sind beschämend und verkennen die unsichere Lage vor Ort.

Mit Kreide auf Asphalt steht in Großbuchstaben: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit

Man weiß, dass in Deutschland Wahlkampf ist, wenn einer der blutrünstigsten Diktatoren des Nahen Ostens gestürzt wird und in Deutschland manchen Politiker*innen nichts anderes einfällt, als geflüchteten Menschen aus Syrien schnellstmöglich die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Ganz gleich, wie angespannt und chaotisch die Lage in Syrien nach dem Umsturz eines 54 Jahre währenden Regimes ist, und ohne auch nur im Entferntesten einschätzen zu können, wie sich das Land unter den neuen islamistischen Machthabern in der Zukunft entwickelt, wird in Deutschland schon über Möglichkeiten spekuliert, wie die Abschiebungen bzw. Rückführungen vonstattengehen sollen. 

Da gibt es Politiker*innen, die schnellstmöglich Flugzeuge chartern und die geflüchteten Menschen aus Syrien mit einer Einmalzahlung von 1000 Euro zur Ausreise bewegen wollen. So viele, so schnell wie möglich lautet hierbei die Devise. Andere kündigen an, dass sie erst einmal nur die Straftäter und Gefährder in ihre Herkunftsländer abschieben wollen und sich hierfür auch gerne rechtlich die Möglichkeit einer Ausbürgerung bzw. Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft offenhalten würden. In einem weiteren Schritt würden dann alle geflüchteten Menschen folgen, die nicht integriert sind, was als Synonym für arbeitslose geflüchtete Menschen steht. Dabei stellen sie falsche Behauptungen auf und übertreiben bewusst, wenn sie öffentlich suggerieren, dass zweidrittel der syrischen Menschen in Deutschland nicht arbeiten würden, auch wenn aktuelle Zahlen eher das Gegenteil belegen. Aber warum sollte man die Fakten und konkreten Zahlen in richtiger Relation betrachten, wenn man für ein öffentliches politisches Amt kandidiert und sich in der Hoffnung, dieses nach der nächsten Bundestagswahl auch bekleiden zu können, liebend gern steiler populistischer Thesen bedient? Rechtsextremistische Politiker*innen freuen sich über diese Steilvorlagen und bekommen wie jedes Mal bei ihrem Lieblingsthema „Flüchtlinge“ Schnappatmung: beispielsweise fordern sie rigorose Abschiebungen bei „Brot, Bett und Seife“, eine abgemilderte Variante des einst von Parteifreunden in den politischen Raum geworfenen Begriffs der wohltemperierten Grausamkeit. Ganz gleich, aus welcher politischen Ecke die Forderungen aktuell auch stammen mögen, der O-Ton aller Vorschläge bleibt derselbe: wenn der Asylgrund mit dem Sturz des Assad-Regimes wegfällt, gibt es auch keinen Rechtsgrund mehr, im Land zu bleiben.

Die politische Zukunft Syriens ist ungewiss

Wie populistisch und realitätsfern diese Forderungen sind, lässt sich alleine an der aktuellen Lage in Syrien festmachen: ein Land, das sich seit 2011 in einem Bürgerkrieg befindet, in dem mehr als eine halbe Million Menschen ihr Leben verloren und über 6,8 Millionen Syrerinnen und Syrer laut dem Amt des Hohen Flüchtlings­kommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in andere Länder geflohen sind, bietet aufgrund des hohen Grades der Zerstörungen kaum bis keine Lebensgrundlagen für Millionen von Menschen. Darüber hinaus lässt sich aktuell schwer einschätzen, wie sich die politische Lage in Syrien entwickeln wird. Allein die Tatsache, dass die HTS (Haiʾat Tahrir asch-Scham) in vielen Ländern bis dato als islamistische Terrororganisation eingestuft wird und somit im eigentlichen Sinne kein Verfechter demokratischer Grundwerte ist, sollte Zweifel darüber aufkommen lassen, ob Syrien in naher Zukunft zu den sicheren Herkunftsstaaten gezählt werden kann. Besonders zynisch ist es, wenn Politiker*innen, die sonst nimmermüde die Bedrohung Deutschlands durch den islamistischen Terrorismus auf jeder sich anbietenden Plattform beschreiben, geflüchtete Syrer*innen zurück in ein Land abschieben wollen, das sich unter der militärischen Kontrolle eben jener islamistischen Milizen befindet, vor denen sie die eigene Bevölkerung sonst warnen.

Es geht um Menschen

Es zeugt von Mangel an Empathie und einer gehörigen Portion Unmenschlichkeit, angesichts der berechtigten Freude aller Syrer*innen über den Sturz des Assad-Regimes eine schnellstmögliche Rückkehr und Abschiebung auf die politische Agenda zu setzen, nur weil man sich dadurch ein paar Prozent Zuwachs bei den Wählerstimmen erhofft. Das Land, aber insbesondere die syrische Bevölkerung, die so viel Leid und Zerstörung erlebt hat und von der sich mehr als die Hälfe auf der Flucht befindet, hat es weder verdient als Variable in einer Kostenrechnung, noch als makabres Wahlkampfthema herhalten zu müssen. Unrealistische Thesen zu formulieren, um im Wahlkampf zu punkten, führt zu einer unrealisierbaren Erwartungshaltung innerhalb der deutschen Bevölkerung. Es hat zur Folge, dass Wut und Frustration zunehmen, wenn sich später herausstellt, dass die groß angekündigten Abschiebungen aufgrund der aktuellen Rechtslage und der unübersichtlichen Situation in Syrien nicht durchführbar sind.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die politischen Akteure aller Couleur dazu besinnen, dass Wahlkampf durchaus hart und polemisch geführt werden kann, man aber dennoch aufgrund des aktuellen Klimas gegenüber geflüchteten Menschen und einer sich zunehmend radikalisierenden und rechtsextremistischen Entwicklungen in der Politik die Worte mit Bedacht wählt. Denn das Ausspielen von Minderheiten und vulnerablen Gruppen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft fördert die ohnehin schon vorhandene Spaltung der Gesellschaft und stört den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland. Die Hoffnung, dass ein Umdenken bei den demokratischen Parteien bezüglich der Schwerpunktlegung im Wahlkampf stattfindet, bleibt: weniger Populismus und kein Wahlkampf auf dem Rücken von Migrant*innen und Schutzsuchenden wäre ein guter Einstieg ins neue Jahr und in einen fair und sauber geführten Wahlkampf. Nichts weniger als der gesellschaftliche Frieden und die Zukunft unseres Landes stehen auf dem Spiel.